Der Faktor Russland: Provokationen und Paradoxien im US-Wahlkampf
von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.: (Lesezeit: ca. 6 Minuten)
Zu den zahlreichen Unberechenbarkeiten im Wahljahr 2020 zählt auch die Rolle Russlands im Wahlkampf. Dabei sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern komplex und sie sorgten in der Vergangenheit immer wieder für Irritationen. Neben den historisch gewachsenen politischen Differenzen spielt dabei auch die Einmischung Russlands in die amerikanischen Wahlen über soziale Medien wie Twitter oder Facebook sowie Cyberkampagnen eine hervorgehobene Rolle. Erst jüngst bestätigte der Geheimdienstausschuss des US-Senats die massive Einmischung Russlands in die Wahlen 2016 und der Vorsitzende des Ausschusses, der Republikaner Richard Burr, warnte mit Blick auf die anstehenden US-Wahlen 2020 vor der „Gefahr einer Einmischung durch feindliche ausländische Akteure.“
Nach der Wahl 2016 untersuchte der vom Justizministerium ernannte Sonderermittler Robert Mueller zwei Jahre lang mögliche Verbindungen zwischen Donald Trumps Wahlkampfteam und russischer Einflussnahme auf den Ausgang der Wahl; in der Folge des Mueller-Reports wurden mehrere Russen wegen „Verschwörung zur Störung demokratischer Prozesse“ sowie einflussreiche Persönlichkeiten im Umfeld von Trump angeklagt, ohne dass die Trump-Administration diese schwerwiegenden Vorwürfe jemals ernst nahm. Als „Russia-Hoax“ (Russland-Schwindel) wurden sie abgetan, womit stets signalisiert wurde, dass die Bedrohung auf Falschmeldungen basiere und jegliche Substanz vermissen lasse. Dennoch überschattete die Russlandaffäre die Beziehungen zwischen Präsident Trump und Putin. Nicht zuletzt deshalb darf trotz des Übergewichts an dominanteren Themen wie der Corona-Pandemie begründet davon ausgegangen werden, dass auch die anstehende Präsidentschaftswahl von dem Diskurs über die amerikanisch-russischen Beziehungen und der Perzeption Russlands als Bedrohung geprägt sein wird. In diesem Beitrag wollen wir uns dieser komplexen Thematik über belastbare Meinungsumfragen annähern, um so die Wahrnehmung Russlands in den USA besser nachvollziehen und in den Kontext der heißen Wahlkampfphase einsortieren zu können.
Traditionell waren beide Parteien, die Demokraten und die Republikaner, stets skeptisch bis ablehnend gegenüber Russland eingestellt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Demokraten hatten Russland wiederholt wegen der völkerrechtlich umstrittenen Annexion der Krim und des fortdauernden Konflikts in der Ostukraine kritisiert. Für die Republikaner steht vor allem die potentielle militärische Bedrohung durch Russland sowie eine aus dem Kalten Krieg übernommene ideologische Konfrontation im Vordergrund. Von dieser Mehrheitsposition bei den Republikanern ist Trump jedoch schon während des Wahlkampfes 2016 abgewichen, indem er mehrfach gute Beziehungen zu Russland gefordert und den russischen Präsidenten Putin als „seinen Freund“ bezeichnet hatte, was nicht nur bei den Verbündeten in Europa sondern vor allem auch bei republikanischen Abgeordneten und Senatoren zu Irritationen geführt hat. Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie Trumps Umgang mit Russland in einem vorbelasteten Beziehungsgeflecht parteiübergreifenden Unmut hervorruft: die jüngst erhobenen Vorwürfe, dass russische Geheimdienste Gelder an die Taliban bzw. ihnen nahe stehende Kämpfer in Afghanistan zur gezielten Tötung von US-Soldaten überwiesen hätten.
Wie die New York Times berichtete, hat die US-Regierung bereits Anfang des Jahres Hinweise erhalten, dass russische Kopfgelder zur Tötung amerikanischer Soldaten ausgesetzt worden seien und dass der Präsident in seinen Sicherheitsbriefings darüber informiert wurde. Über die weitere Bearbeitung dieses Vorgangs gehen die Darstellungen allerdings auseinander und es ist bislang nicht geklärt, ob der Präsident selbst informiert wurde aber die Warnungen ignorierte, oder ob die Sicherheitsberater ihm wichtige sicherheitsrelevante Informationen nicht vorgelegt hätten. Die ehemalige Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice schreibt dazu, dass es nur sehr schwer vorstellbar ist, dass letzteres der Fall ist. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany, sagte dagegen, dass Trump selbst über den Vorgang nicht gebrieft worden sei, da die Geheimdienstberichte teilweise widersprüchlich gewesen seien. Nach einigen Tagen des Schweigens bezeichnete Präsident Trump den Bericht schließlich auf Twitter als „fake news“, was in vielerlei Hinsicht einem bekannten Muster entspricht, wenn Trumps Umgang mit Russland in der Kritik steht. Fall erledigt? Wohl kaum: Tatsächlich handelt es sich hier um einen Vorgang von höchster Brisanz, da nicht nur elementare Sicherheitsinteressen der USA berührt sind, sondern auch weil das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung, das Leben von Soldaten im Einsatz zu schützen, auf dem Spiel steht. Trump hatte in der Vergangenheit immer wieder betont, die „Ära der endlosen Kriege“ beenden zu wollen und die US-Truppen aus Afghanistan und dem Irak abzuziehen. Ein überraschend unter Beteiligung der Taliban im Februar 2020 abgeschlossenes Abkommen sollte diesen Rückzug besiegeln. Dessen genaue Umstände werden nun aber in ein zweifelhaftes Licht gerückt. Zudem wird durch die Berichte eine wesentliche Wählergruppe Trumps tief verunsichert: die rund 21 Millionen ehemaligen Militärangehörigen bzw. Veteranen, die 2016 gerade in hart umkämpften Staaten wie North Carolina und Florida zu seinen zuverlässigsten Wählern zählten.
Mehrfach ist Trump für seine als zu freundlich wahrgenommene Haltung gegenüber Putin kritisiert worden, denn sie entspricht weder der von beiden Parteien getragenen kritischen außenpolitischen Haltung gegenüber Russland, noch der deutlichen Mehrheitsmeinung in der amerikanischen Bevölkerung. Wie aus Darstellung 1 hervorgeht, haben nur noch 18 % der amerikanischen Öffentlichkeit ein positives Bild von Russland; als die Frage 2007 zuerst gestellt wurde, gaben noch 44% an, ein positives Bild von Russland zu haben. Die russische Wahrnehmung der USA ist hingegeben bis auf zwei Ausnahmen (2007 und 2015) durchweg positiver.
Darstellung 1: Die gegenseitige Wahrnehmung zwischen 2003 und 2019
Quelle: Pew Research Center.
Wie die Umfrageergebnisse des Pew Research Centers in Darstellung 1 zeigen, hat das Bild von Russland in den USA unter dem Eindruck der Annexion der Krim 2014 stark gelitten. In der Amtszeit von Trump schien sich die Wahrnehmung Russlands zunächst zu erholen, bevor sie nach 2017 erneut einbrach und sich zuletzt auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau einzupendeln scheint. Die Kernbotschaft von Darstellung 1 ist, dass die jüngsten Berichte über russische Kopfgelder auf amerikanische Soldaten eine amerikanische Bevölkerung erreichen, die Russland ohnehin sehr kritisch gegenübersteht. Nicht zuletzt deshalb darf davon ausgegangen werden, dass es für Trump nicht sehr einfach sein dürfte, dieses Thema im Wahlkampf zu übergehen oder es mit dem Stempel „Fake News“ von der Agenda der Diskussionen zu entfernen. Dem Image des Präsidenten als „Commander in Chief“ sind die jüngsten Enthüllungen garantiert nicht zuträglich.
Interessant ist dabei zusätzlich, dass das Ansehen von Putin während der Amtszeit von Trump vor allem bei den Republikanern gestiegen ist; etwa ein Drittel hat mittlerweile eine positive Ansicht von Putin, während sein Ansehen bei den Demokraten weiter gesunken ist. Darstellung 2 stellt das Meinungsbild von Putin im Zeitverlauf zwischen 2006 und 2019 dar und erlaubt einen Vergleich zwischen Republikanern und Demokraten.
Darstellung 2: Vertrauen in Putin bei Republikanern und bei Demokraten zwischen 2006 und 2019
Quelle: Pew Research Center.
Darstellung 2 zeigt ganz deutlich, dass sich Demokraten und Republikaner zusehends uneinig sind, wenn es um das Vertrauen gegenüber Putins Außenpolitik geht und dass diese Tendenz eindeutig durch Trumps Präsidentschaft begünstigt wird. An anderer Stelle auf diesem Blog schrieben wir bereits über die starke Loyalität von Republikanern gegenüber Präsident Trump und es ist zumindest anzunehmen, dass sie sich auch in dieser kontroversen Thematik niederschlägt. Mit Blick auf die heiße Wahlkampfphase ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Kritik an Trumps wohlwollendem Ansatz gegenüber Russland und Vladimir Putin ein Teil der demokratischen Botschaft sein wird, die die amerikanischen Wähler von Joe Biden überzeugen soll. Mit den jüngsten Enthüllungen ist das Thema trotz dominanter Probleme wie der Corona-Pandemie oder der Wirtschaftskrise erneut salient geworden und ruft den Amerikanern die Kontroversen rund um den Mueller-Report in Erinnerung. Könnten die aktuellen Vorwürfe über die Kopfgelder, die einen empfindlichen Nerv des amerikanischen Selbstverständnisses treffen, Trump nun schaden und zu seiner Abwahl im November 2020 beitragen? Es wäre schon paradox, wenn gerade der Präsident, der von der traditionell scharfen Abgrenzung der Republikaner von Russland abweicht und Putin als seinen Freund bezeichnet, durch die Aktionen ebendieser russischen Regierung geschwächt und womöglich zu Fall gebracht werden würde.
Schlussendlich ist festzuhalten, dass sich nicht endgültig wird klären lassen können, ob Trump tatsächlich nichts von den russischen Aktivitäten wusste oder ob er aus einem entsprechenden Briefing keine größere Dringlichkeit ableitete. Allerdings lassen sich beide möglichen Szenarien nur schwer positiv framen für einen ohnehin in der Kritik stehenden Präsidenten. So ist ein defensiv geführter Wahlkampf, der stets mit Schadensbegrenzung und der Zurückweisung immer neuer Vorwürfe beschäftigt zu sein scheint, wohl weit weniger aussichtsreich als der Wahlkampf eines Herausforderers, der zumindest aktuell die öffentliche Meinung auf seiner Seite hat (siehe Blog-Beitrag XI). Schlussendlich lässt sich also unter dem Eindruck eines noch immer unsicheren Wahlausgangs für diesen Beitrag resümieren, dass Trumps Haltung gegenüber Russland ohnehin von der Mehrheitsmeinung in den USA losgelöst war und dass die jüngsten Enthüllungen in Kombination mit der aktuellen Krisenlage seinen Aussichten auf eine Wiederwahl eher schaden können.