Die Wahl der Narrative: Die Parteitage der Demokraten und der Republikaner im Vergleich
von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.: (Lesezeit: ca. 8 Minuten)
Die Nominierungsparteitage der Demokraten und der Republikaner, auf denen die Kandidaten und Kandidatinnen für den Präsidentschaftswahlkampf offiziell bestimmt werden, gehören seit jeher zum festen Ablauf der Wahlkämpfe. Anders als bei Parteitagen europäischer Parteien stehen dabei nicht primär Inhalte und Positionen, die schlussendlich in einem Parteiprogramm münden, im Vordergrund. Vielmehr geht es vor allem darum, die Delegierten und die vielen freiwilligen Helfer auf den bevorstehenden Wahlkampf einzustimmen. Die Parteibasis soll mobilisiert und auf einen harten Wahlkampf eingestimmt werden. Es geht aber auch um eine möglichst überzeugende Inszenierung der eigenen Kandidaten/innen auf einer Plattform, die durch die besonders hohe mediale Aufmerksamkeit besonders große Reichweite hat. Ort und Zeitpunkt der Nominierungsparteitage werden ebenso sorgfältig nach wahlstrategischen Gesichtspunkten ausgewählt wie die Nominierung der Running Mates, der Vizepräsidentschaftskandidaten/innen.
Aufgrund der Covid-19 Pandemie musste das weitgehend standardisierte Skript in diesem Jahr umgeschrieben und digitalisiert werden; beide Parteitage wurden angesichts weiter steigender Zahlen an Neuinfektionen schließlich vorwiegend virtuell veranstaltet, wenngleich die Rede von Donald Trump vor dem Weißen Haus von einem eng beieinander sitzenden Publikum von ca. 1.500 Menschen verfolgt wurde, die keine Masken trugen. Im virtuellen Format blieb bezüglich des Ablaufs Vieles ähnlich und die beiden Parteitage öffneten ein Fenster zum Verständnis, wie sich Demokraten und Republikaner für die bevorstehenden Wahlkämpfe positionieren und welches Amerika sie sich für die kommenden vier Jahre vorstellen. Dass dazu bereits einige scharfe Angriffe auf die Gegenseite zum festen Repertoire gehören, ist ebenso feste Tradition wie Feuerwerk und pathetische Reden der Parteieliten. Dabei gehört das Geschichtenerzählen, das Aufbauen von emotionalen Narrativen, zum Kern der politischen Botschaft. Das Anknüpfen an Traditionen, Deutungen und Imaginierungen soll mobilisieren, Emotionen ansprechen und die Überzeugung von Mehrheiten ermöglichen.
Aufgrund des komplizierten Wahlsystems zielen beide Parteien so darauf ab, Interpretationen der gesellschaftlichen Probleme mit parteispezifischen Lösungsansätzen zu verknüpfen, um so wahlentscheidende Deutungshoheiten zu generieren. So gelang es Barack Obama im Wahljahr 2008 mit seiner Vision von „Change“ und den Botschaften „Hope“ und „Yes We Can“ eine durch die Wirtschafts- und Finanzkrise sowie die kriegerischen Einsätze im Ausland ermüdete und durchaus enttäuschte Bevölkerung mehrheitlich auf seine Seite zu ziehen. Im Jahr 2016 gelang es Donald Trump mit seiner eingängigen apokalyptischen Beschreibung des „American carnage“, des „Gemetzels“ in Großstädten und an den Grenzen und die harte wirtschaftspolitische Opposition gegenüber der Globalisierung seine Botschaft des „America First“ überraschend erfolgreich als Allheilmittel zu inszenieren. Hillary Clinton setzte damals inhaltlich-programmatische Gegenpunkte, von der Gesundheitsreform über die bezahlbare Studienausbildung bis zur Arbeitsplatzbeschaffung, aber es gab kein überzeugendes Narrativ, keine kohärente Story, die genügend emotionale Resonanz auslöste. Die erste Frau als Präsidentschaftskandidatin war offensichtlich keine ausreichend mitreißende Geschichte im durch Geschlechterstereotype geprägten Präsidentschaftswahlkampf, und so erhielt Clinton zwar die Stimmenmehrheit aller abgegebenen Stimmen (die sogenannte popular vote), aber nicht die Stimmenmehrheit im Wahlkollegium (electoral college). Obwohl die diesjährige Präsidentschaftswahl von deutlich anderen Vorzeichen geprägt ist, wird die Frage nach der Überzeugungskraft der parteispezifischen Narrative mit Sicherheit bedeutsam für das Ergebnis am 3. November werden.
Das Wahljahr 2020 stellt Demokraten wie Republikaner vor die Herausforderung, Narrative virtuell zu vermitteln, und dies vor dem Hintergrund mehrerer gravierender Krisen: der anhaltenden Covid-19-Pandemie, der durch sie ausgelösten tiefen Wirtschaftskrise und der wieder aufgeflammten Auseinandersetzungen über strukturelle, rassistische Gewalt.
Die Demokraten, die ihren Parteitag aufgrund der Pandemie terminlich auf den 17. bis 20. August verlegt hatten, demonstrierten gleich zu Beginn, welches Amerika sie ansprechen und verteidigen wollen: Mit einer bunten Mischung aus Grußworten, Musikbeiträgen, Videoclips, Ansprachen und Gesten stellten sie ein buntes, vielschichtiges Amerika dar, unterstützt und verstärkt durch das neue Medium der virtuellen Präsentation. Ihr Anliegen als Partei der Vielfältigkeit wahrgenommen zu werden, die die amerikanische Gesellschaft heute vorrangig prägt, wurde so eindrucksvoll unterstrichen. Gleich drei ehemalige Präsidenten – Jimmy Carter, Bill Clinton und Barack Obama – sprachen sich für die Nominierung von Joe Biden aus. Zur Prominenz zählte auch die ehemalige First Lady Michelle Obama, die gleich zum Auftakt die Stoßrichtung der Wahlkampf-Botschaft vorgab, mit aller Kraft eine Wiederwahl von Donald Trump zu verhindern. Die von den Beobachtern begeistert kommentierte Nominierung der kalifornischen Senatorin Kamala Harris als Vizepräsidentschaftskandidatin unterstrich einmal mehr, dass sich die Demokraten vor allem als Partei der Vielfältigkeit, Offenheit und Pluralität präsentieren. Die Nominierung von Kamala Harris ist auch bereits als Richtungsweisung für die Präsidentschaftswahl 2024 zu verstehen.
In seiner mit großer Spannung erwarteten Rede zur Annahme der Nominierung griff Joe Biden eloquent und eindringlich das Narrativ der Schicksalswahl auf, welches bereits Barack Obama sowie Kamala Harris angesprochen hatten. Er erinnerte an die fünf Millionen infizierten Amerikaner und Amerikanerinnen und die mehr als 170.000 Toten in Folge von Covid-19, an die 50 Millionen Menschen, die bislang Arbeitslosenunterstützung beantragt haben, sowie an die geschätzten 10 Millionen, die im Laufe des Jahres ihre Krankenversicherung verlieren werden. In vielerlei Hinsicht geht es den Demokraten um Biden also darum einen Weg aus den Krisen vorzuzeichnen und Amerika wiederaufzubauen. Vor diesem Hintergrund sei die Präsidentschaftswahl lebensentscheidend („life changing election“); in den Worten von Joe Biden: „Character is on the ballot. Compassion is on the ballot. Decency, science, democracy. They are all on the ballot. Who we are as a nation. What we stand for. And, most importantly, who we want to be.“ Es gehe, so Biden, um mehr als Stimmenmehrheiten; vielmehr spitzt er die Frage der Wahl als Entscheidung über die Seele Amerikas zu, die Wahl zwischen Licht oder Dunkelheit. Ein derart scharf abgegrenztes, bildhaftes und eindringliches Narrativ zielt dabei nicht so sehr auf Inhalte, sondern auf die emotionale Resonanz, die es erzeugen soll.
Die Republikaner, die ihren Parteitag vom 24. bis 27. August nach mehreren Kurskorrekturen ebenfalls weitgehend virtuell abhielten, setzen auf eine ähnlich emotionale Erzählung, die unter dem Motto „Honoring the Great American Story“ steht. Die persönliche Präsenz, die Donald Trump eindeutig favorisiert hat, wird aufgrund der Pandemie-Hygienevorschriften der Bundesstaaten nur teilweise realisiert und die Auftritte sind sorgsam choreografiert durch Mitarbeiter der Fernsehsendung „The Apprentice“, die Trump einst als Medienstar bekannt gemacht hatte. Schon der erste Tag, an dem die Delegierten über die Nominierung von Trump und seinem Vizepräsidentschaftskandidaten Mike Pence abstimmen, stellte wichtige Weichen. Die Delegierten trafen sich teilweise persönlich in Charlotte im Bundesstaat North Carolina, einem der heiß umkämpften Swing States bei der Wahl, um die Bedeutung dieses Bundesstaates zu unterstreichen und um das Wir-Gefühl üblicher Nominierungsparteitage zu reproduzieren. Die Nominierung von Donald Trump und Mike Pence stand dabei außer Frage; die republikanische Partei ist ohnehin inzwischen vollends auf Trump eingeschworen.
Allerdings stand der Parteitag vor der Herausforderung, die Stimmung im Land zu drehen und anders als noch 2016 kann sich Trump nach nun fast vierjähriger turbulenter Amtszeit nicht mehr als unbescholtener politischer Newcomer inszenieren: In den Umfragen der letzten Wochen liegt Joe Biden konstant durchschnittlich vor Donald Trump, was auch für entscheidende Swing States wie Michigan oder Wisconsin gilt (siehe Blog-Beitrag XI), was Trumps Wiederwahl durchaus gefährdet. Auch in den durchschnittlichen Umfragewerten, die RealClearPolitics aus den bedeutendsten Umfragen berechnet hat, liegt Biden mit rund acht Prozentpunkten vor dem amtierenden US-Präsidenten.
Wie ließe sich aus Trumps Perspektive dieser Trend umkehren? Interessant ist an dieser Stelle, dass Trump im Kontrast zu den Reden und Wahlkampfauftritten in den vergangenen Wochen, bei denen er stets herausgestellt hatte, dass sich das Land in Chaos und Anarchie befinde, für die die Demokraten, die „Linken“ und die „Anarchisten“ die Schuld trügen, nun ein positives Szenario entgegensetzen will. In seiner Rede inszenierte er sich als der Kandidat, der für Recht und Ordnung in turbulenten Zeiten einsteht und als der Präsident, der nicht nur die Corona-Pandemie gemeistert habe, sondern auch mehr für die afro-amerikanische Bevölkerung bewegt habe als alle seine Vorgänger. Von entscheidender Bedeutung für das republikanische Narrativ ist auch das Aufbauen von zahlreichen Bedrohungsperzeptionen. Dabei geht es zum Beispiel darum, dass Trump die USA vor den angeblich radikalen linken Kräften der sozialistischen Demokraten schützen wolle. Die Bedrohung durch China war auch ein zentrales Thema und wurde zugleich mit Trumps demokratischen Herausforderer verbunden: „Joe Biden’s agenda is made in China. My agenda is made in the USA“. Wie schon 2016, war das Thema der Einwanderung und der Grenzsicherung erneut besonders prägend für Trumps Botschaft. Allerdings war seine Rede gezeichnet von falschen und irreführenden Aussagen, die ein durchaus verzerrtes Bild der Realität zeichneten. Insgesamt wurde klar, dass die Kernbotschaft des Trump’schen Narrativs eindeutig von Polarisierung und Furcht anstatt von Versöhnung und Zuversicht geprägt ist. Das ist interessant, denn immerhin sind die Wahlen auch ein Referendum über seine vier Jahre im Amt als Präsident.
Abschließend ist festzuhalten, dass wir weitgehend unterschiedliche Tonlagen und Kernbotschaften in den Narrativen der Demokraten und der Republikaner sehen. Das ist zwar sinnbildlich für eine polarisierte Gesellschaft. Zugleich ist es aber auch eine Folge von Trumps kontroverser Amtszeit. Welche Botschaft am Ende überzeugender und somit wahlentscheidend sein wird, bleibt noch offen. Der starke Kontrast zwischen den beiden Narrativen unterstreicht aber in jedem Fall die Feststellung, dass diese Wahl richtungsweisend ist.