Der schwierige Patient – Die Corona-Pandemie erreicht das Weiße Haus
von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.: (Lesezeit: ca. 6 Minuten)
In der Nacht zum Freitag, dem 2. Oktober, gab Donald Trump per Twitter bekannt, dass sowohl er selbst als auch seine Frau Melania Trump positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Kurz nach einer besonders chaotischen Fernsehdebatte zwischen Trump und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden, in der wenig Substanz und zahlreiche Störfeuer seitens Trump Zuschauer/innen eher frustriert zurückließ, erfährt der Wahlkampf eine weitere und weit weniger erwartete Wendung. Wie die New York Times berichtet, war kürzlich eine enge Beraterin von Trump, Hope Hicks, positiv getestet worden; weitere enge Mitarbeiter/innen des Präsidenten sowie drei Senatoren, von denen zwei am Samstag zuvor an der Ernennungsfeier für die von Trump nomierte konservative Richterin Amy Coney Barrett im Rosengarten des Weißen Hauses teilgenommen hatten, sind inzwischen ebenfalls positiv auf das Virus getestet worden. Am Freitagvormittag wurde Trump in die Präsidentensuite des Walter Reed Militär-Krankenhaus zur Behandlung gebracht. Über den Verlauf der Erkrankung gab und gibt es widerspüchliche Meldungen; Videoaufnahmen sollten zeigen, dass Trump wohl auf ist, während er zugleich mit Medikamenten behandelt wird, die nur bei schwererem Verlauf verabreicht werden.
Noch am Donnerstagabend, den 1. Oktober, verharmloste Trump die Ausmaße Pandemie erneut und ließ im Rahmen eines offiziellen Abendessens gar verlauten, dass ihr Ende bereits in Sicht wäre. Das steht in starkem Kontrast zum tatsächlichen Infektionsgeschehen in den USA, das wir in Darstellung 1 auf Basis der Daten der Centers for Disease Control and Prevention (kurz: CDC) über die Zahl der täglichen Neuinfektionen zwischen dem 1. März und dem 30. September abbilden.
Darstellung 1: Verlauf der Pandemie in den USA
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Daten der CDC.
Darstellung 1 zeigt deutlich, dass sich die USA nach wie vor in einer angespannten Lage bezüglich des Pandemieverlaufs befinden und dass die Fallzahlen zuletzt wieder stiegen, während mehr als 200.000 Amerikaner/innen bereits ihr Leben verloren. Diese Entwicklung ist mit Blick auf die kommende kältere Jahreszeit und die Grippe-Saison besonders bedenklich. Von einem bevorstehenden Ende der Pandemie kann also in naher Zukunft sicher nicht gesprochen werden. Allerdings ist diese Diskrepanz zwischen tatsächlichem Infektionsgeschehen und Trumps Rhetorik fast schon charakteristisch für den Umgang des amtierenden US-Präsidenten mit der Pandemie. So ist es bezeichnend, dass andere Regierungsvorsitzende, die sich ähnlich distanziert von der Realität äußerten und das Virus verharmlosten, ebenfalls zuvor von dem Coronavirus infiziert wurden (z.B. Jair Bolsonaro in Brasilien oder Boris Johnson in UK). Doch was bedeutet die Nachricht über Trumps Ansteckung mit dem Virus nun für den Wahlkampf?
Die tatsächlichen Auswirkungen werden stark von dem Krankheitsverlauf bei Trump und dem Ausmaß des Infektionsgeschehens im Weißen Haus abhängen. Selbst wenn Donald Trump demnächst ins Weiße Haus zurückkehren könnte, wird er weiter behandelt werden müssen und kann seinen Wahlkampf nicht wie vorgesehen fortsetzen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die zwei weiteren Fernsehdebatten ersatzlos entfallen werden, da Trump unter Quarantäne-Auflagen oder im Zweifel auch aufgrund ärztlich verordneter Ruhe nicht aus Washington D.C. anreisen können wird. Die am 5. und 6. Oktober in Arizona geplanten Wahlkampfveranstaltungen und weitere Veranstaltungen wird Trump ebenfalls nicht wahrnehmen können. Inszenierungen vor größeren Menschenmassen sind bis auf Weiteres nicht möglich, womit sich sein Wahlkampf noch stärker auf den digitalen Raum verschieben wird. Für seinen Kontrahenten, Joe Biden, ergibt sich aus Trumps Infektion mit dem Virus die Möglichkeit eine Schwachstelle der Trump-Kampagne erneut in den Vordergrund zu rücken. Wenn es selbst mit den Mitteln des Präsidenten und des Weißen Hauses nicht gelingt, den Amtsinhaber vor einer Infektion zu schützen, ist jeder Versuch von Trump die Pandemie kleinzureden nun noch schwieriger zu verkaufen. Auf den Sozialen Medien verbreitet Biden immer wieder besonders prägnant die Botschaft: Es hätte nicht so weit kommen müssen ohne Trumps verfehltes Krisenmanagement. Dass die Pandemie nun sogar das Weiße Haus erreicht hat, kann wie ein Attest zu diesem Statement verstanden werden.
Umgekehrt ist es möglich, dass im Falle eines unproblematischen Verlaufs der Krankheit, Trump seine Botschaft der Verharmlosung mit größerem Nachdruck vermitteln kann – frei nach dem Motto: ich habe das Virus besiegt und mir geht es toll. In den sozialen Netzwerken kursieren derweil bereits weitgehend haltlose Gerüchte, dass Trumps Erkrankung eine Täuschung ist, d. h. dass der Präsident nicht an Covid 19 erkrankt ist, sondern Sympathien in einer schwierigen Situation seines Wahlkampfes erwecken will. Ein milder Verlauf seiner Erkrankung könnte jedoch seine immer wieder geäußerte Geringschätzung von Covid-19 bekräftigen und ihn als „Sieger“ in der Auseinandersetzung um Maskentragen und Hygienebeschränkungen darstehen lassen. Immerhin hatte die TV Debatte aus seiner Sicht nicht die erhoffte Wirkung eines Durchbruchs in den Umfragen erzielt – im Gegenteil: Joe Biden hatte danach weiter an Vorsprung gewonnen. Laut einer Umfrage des „Wall Street Journal“ führt Biden landesweit mit einem Vorsprung von 14 Prozent nach der TV-Debatte; sechs Punkte mehr als noch im Vormonat.
Die Pose des Heroismus, die Trump zuletzt bei seinem Autoausflug am Sonntag demonstriert hat, um sich seinen Anhängern zu zeigen mag ihm einige Sympathien einbringen; ob sie jedoch die noch unentschlossenen Wählerinnen und Wähler auf seine Seite ziehen kann, ist eher fraglich. Eine am Sonntag veröffentlichte Reuters/Ipsos Erhebung ergab, dass 65 Prozent der Befragten (9 in 10 Demokraten; 5 in 10 Republikanern) der Meinung sind, dass der Präsident die Ansteckung hätte vermeiden können, wenn er das Coronovirus ernster genommen hätte. Zudem zeigten sich 57 Prozent unzufrieden mit den Maßnahmen des Präsidenten gegen die Pandemie – drei Prozent mehr als in der Woche vorher. Er ist ein schwieriger Patient in einer schwierigen Wahlkampflage.
Zu einem gewissen Grad gefährdet Trumps Infektion auch sein kontroverses Vorhaben, noch in diesem Jahr eine neue Richterin in den Amerikanischen Supreme Court zu berufen (vgl. Blog-Beitrag XVI) – seine Kandidatin hat er mit Amy Coney Barrett bereits gefunden. Derzeit steht das Anhörungsverfahren im Justizausschuss auf der Kippe, da unter den positiv getesteten Senatoren auch zwei Mitglieder dieses Ausschusses sind. Für die Bestätigung im Senat, wo die Republikaner derzeit einen Vorsprung von drei Stimmen haben, glaubte Trump eine sichere Mehrheit zu haben, allerdings steht der Zeitplan für die Kommissionssitzungen sowie die Abstimmung selbst bei einer Erkrankung von Senatoren wieder in Frage. Auf jeden Fall ist die Eile, mit der die Republikaner die Besetzung noch vor der Wahl am 03. November sichern wollten, angesichts dieser Situation noch fragwürdiger als vor der Erkrankung Trumps.
Mit Blick auf die kurz bevorstehende TV-Debatte zwischen Kamala Harris (Kandidatin der Demokraten für das Vizepräsidentschaftsamt) und Mike Pence (amtierender Vizepräsident) am 7. Oktober ist anzunehmen, dass die Corona-Pandemie das dominante Thema sein wird. Diese Debatte wird sicher mit größerer Aufmerksamkeit verfolgt werden, als es normalerweise bei den TV-Debatten der Vizepräsidentschaftskandidaten/innen der Fall ist, da die Debatten unter den zwei Präsidentschaftskandidaten vermutlich entfallen werden. Diese Wahl ist aber auch in jeder Hinsicht keine gewöhnliche Wahl.